Mit Beschluss vom 09.11.2021 hat der Bundesgerichtshof (BGH) entschieden, dass Praxisverkäufer nicht gegen Entgelt dazu verpflichtet werden dürfen, auf ihre Patienten einzuwirken, sich künftig vom Praxiskäufer behandeln zu lassen. Ein Praxiskaufvertrag, der solche Regelungen enthält, verstößt gegen (bayerisches) Standesrecht und ist gesamtnichtig.
Der Entscheidung liegt folgender Sachverhalt zugrunde:
Die Parteien stritten hinsichtlich der Wirksamkeit eines Kaufvertrags über den Patientenstamm einer Zahnarztpraxis. Kläger war ein in Regensburg niedergelassener Zahnarzt, der von der Beklagten im Rahmen ihrer Praxisaufgabe den Praxisstamm erwerben wollte. Der von den Parteien geschlossene Kaufvertrag sah die Veräußerung des Patientenstamms der privat- und vertragszahnärztlichen Praxis der Beklagten sowie die spätere Versorgung durch den Kläger vor. Ferner wurde vereinbart, dass sowohl die Anrufe auf dem Telefonanschluss als auch der Aufruf der Internetseite der Beklagten zum Kläger umgeleitet werden sollen. Nach vollständiger Kaufpreiszahlung sollte die Patientenkartei der Beklagten einschließlich der Krankenunterlagen (soweit eine Einwilligungserklärung der Patienten vorliegt) auf den Kläger übergehen. Davon losgelöst sollte der Kläger sowohl die manuell geführte Patientenkartei als auch die elektronische Patientenkartei (Zwei-Schrank-Modell) für die Beklagte in Verwahrung nehmen. Die Beklagte bat die Landeszahnärztekammer um eine rechtliche Bewertung dieser Regelungen. Die Kammer kam zu der Einschätzung, dass es sich um unwirksame, gegen eine Verbotsnorm verstoßende Vereinbarungen handelt. Daraufhin verweigerte die Beklagte die Vertragserfüllung.
Die Beurteilung durch die Instanzgerichte:
Die auf Vertragserfüllung gerichtete Klage hatte in den Vorinstanzen keinen Erfolg. Das Berufungsgericht hat den geschlossenen Kaufvertrag als nichtig gem. § 134 BGB bewertet, weil dieser tatbestandlich den § 299a Nr. 3 sowie den § 299b Nr. 3 StGB erfülle. Die salvatorische Klausel des Vertrags könne die Wirksamkeit im Übrigen nicht erhalten, da die Abrede der Parteien in der Gesamtschau als Unrechtsvereinbarung zu bewerten sei und eine Teilnichtigkeit den Gesamtcharakter des Vertrags ändern würde.
Die Beurteilung durch den BGH:
Dem Ergebnis der Gesamtnichtigkeit schließt sich der BGH an. Er verneint in seinem Beschluss bereits das Vorliegen der Revisionsvoraussetzungen. Der 8. Senat sieht vorliegend keine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache alleine deshalb, weil es nach Auffassung des Berufungsgerichts bislang keine höchstrichterliche Rechtsprechung zur Zulässigkeit des Verkaufs eines Patientenstamms unter Berücksichtigung der neu eingeführten §§ 229a, 299b StGB gäbe. Gleiches gelte für die Frage der Zulässigkeit des sog. „Zwei-Schrank-Modells“. Der BGH führt hierzu aus, dass die Veräußerung des Patientenstamms der Beklagten bereits eindeutig gegen berufsrechtliche Standesvorschriften verstößt und es auf die Frage der Tatbestandsmäßigkeit zu §§ 229a und 229b StGB nicht ankommt. Nach Auffassung des BGH liegt in der von den Parteien getroffenen Vereinbarung ein Verstoß gegen § 8 Abs. 5 der Berufsordnung für die Bayerischen Zahnärzte vor.
Danach ist der streitgegenständliche Verkauf eines Patientenstamms, anders als der Verkauf einer (Zahn-)Arztpraxis im Ganzen, so nicht möglich. Der § 8 Abs. 5 der Berufsordnung für die Bayerischen Zahnärzte erlaube es Zahnärzten nicht, für die Zuweisung von Patienten oder Untersuchungsmaterial ein Entgelt zu fordern. Ein Verstoß sei vorliegend bereits in der Verpflichtung der Beklagten, gegen Entgelt auf ihre Patienten mit der Absicht einzuwirken, diese zu einer künftigen Behandlung durch den Kläger zu bewegen, zu sehen. Die vereinbarten Maßnahmen entsprechen nach Ansicht des BGH unzulässigen „Werbemaßnahmen“ im Sinne einer Eiwirkung auf die Patienten, deren Wahl unter (Zahn-)Ärzten oder anderen Leistungserbringern zu beeinflussen.
Die Vorschrift stellt nach Auffassung des BGH ferner ein Verbotsgesetz i.S.d. § 134 BGB dar. Dies stützt der BGH auf seine ständige Rechtsprechung, wonach auch Satzungen von Selbstverwaltungskörperschaften Verbotsgesetze sein können. Auf die gegen die Anwendung der §§ 229a, 299b StGB gerichteten Rügen der Revision kommt es daher vorliegend nicht an.
Darüber hinaus lehnt der BGH die Zulassung der Revision zur Fortbildung des Rechts ab, da die vom Berufungsgericht aufgeworfenen Rechtsfragen nicht entscheidungserheblich seien und die Maßstäbe für die Beurteilung der Nichtigkeit des Vertrags nach § 134 BGB i.V.m § 8 Abs. 5 der Berufsordnung für die Bayerischen Zahnärzte durch bestehende Rechtsprechung des BGH ausreichend geklärt sind.
Mit seinem Beschluss hebt der BGH den Schutzzweck einschlägiger Vorschriften ärztlicher Berufsordnungen nochmals hervor. (Zahn-)Ärzte sollen sich in ihrer Entscheidung, welchem anderen oder weiterbehandelnden (Zahn-)Arzt sie Patienten zuweisen, nicht vorab durch Entgelt binden dürfen. Vielmehr soll diese Entscheidung alleine anhand von medizinischen Erwägungen im Interesse des Patienten erfolgen. Etwas anders gilt auch nicht für die Zuweisung aufgrund eines Praxisverkaufs.
Diesem Ergebnis stehen auch verfassungsrechtliche Erwägungen nicht entgegen, da es sich bei § 8 Abs. 5 der Berufsordnung für die Bayerischen Zahnärzte lediglich um eine in Art. 12 GG eingreifende Berufsausübungsregelung handelt. Diese ist mit den genannten vernünftigen Erwägungen des Gemeinwohls als zweckdienlich anzusehen.
RA Helge Rust
Fachanwalt für Medizinrecht
Fachanwalt für Arbeitsrecht