Rund 450.000 Euro hat einen Facharzt für Urologie der Umstand gekostet, dass eine bei ihm tätige Ärztin Verordnungen von Arzneimitteln vorgenommen hat, ohne dass sie für die Tätigkeit in der vertragsärztlichen Praxis über eine Genehmigung des Zulassungsausschusses verfügte. Das hat das Sozialgericht Marburg mit Gerichtsbescheid vom 29.09.2022 – Az.: S 17 KA 282/19 – entschieden.
Im Rahmen der Wirtschaftlichkeitsprüfung nach §§ 106 ff. SGB V hatte eine Krankenkasse bei dem Prüfungsausschuss Anträge auf Feststellung eines sog. sonstigen Schadens für alle Quartale der Jahre 2013 bis 2016 gestellt. Die Prüfgremien – Prüfungsstelle bzw. Beschwerdeausschuss – hatten den Anträgen weitgehendst entsprochen und Regresse in der Höhe von insgesamt 453.418,99 Euro festgesetzt bzw. bestätigt. Das hiergegen angerufene Sozialgericht Marburg hat die Entscheidung der Prüfgremien bestätigt und die Klage abgewiesen.
Die Entscheidung stützt sich auf folgende tragende Gründe: Nach § 48 Abs. 1 Bundesmantelvertrag-Ärzte (BMV-Ä in der geltenden Fassung) werde der sonstige durch einen Vertragsarzt verursachte Schaden, der einer Krankenkasse aus der unzulässigen Verordnung von Leistungen, die aus der Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung ausgeschlossen sind oder aus der fehlerhaften Ausstellung von Bescheinigungen entsteht, durch die Prüfgremien nach § 106 SGB V festgestellt.
Dabei sei vorliegend zu berücksichtigen, dass gemäß §§ 15 Abs. 1 Satz 1 SGB V, 32 Abs. 1 Satz 1 Zulassungsverordnung für Vertragsärzte (Ärzte-ZV), 15 Abs. 1 S. 1 BMV-Ä der an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmende Arzt die Pflicht habe, die vertragsärztliche Tätigkeit persönlich auszuüben. Das Gebot der persönlichen Leistungserbringung, das der Sicherung der hohen Qualität der vertragsärztlichen Versorgung diene und die materielle Voraussetzung für jede ärztliche Tätigkeit in der vertragsärztlichen Versorgung sei, gelte nicht nur für die Behandlungs-, sondern auch für die Verordnungstätigkeit des Vertragsarztes. Das Gebot der persönlichen Leistungserbringung verlange nicht nur die ärztliche Entscheidung über das zu verordnende Medikament, sondern auch die persönliche Ausstellung und Unterzeichnung der Verordnung.
In dem entschiedenen Fall hatte der Kläger die Verordnungen zwar als eigene Verordnung mit seinem Praxisstempel gestempelt, sie aber nicht selbst unterschrieben. Vielmehr hatte dies die bei dem Vertragsarzt tätige, aber nicht durch den Zulassungsausschuss genehmigte Ärztin getan.
Grundsätzlich sei es zwar möglich, Behandlungs- und Verordnungstätigkeit an ärztliche Dritte zu delegieren. Die Delegation von Leistungen an ärztliches Personal komme im vertragsärztlichen Bereich aber nur dann in Betracht, wenn es sich um angestellte Ärzte oder Assistenten handele, deren Beschäftigung von den Zulassungsgremien [Anm.d.A.: Im Falle der Assistenz wird die Genehmigung durch die Kassenärztliche Vereinigung und nicht den Zulassungsausschuss ausgesprochen] genehmigt worden ist. Das war – wie erwähnt – in dem hier entschiedenen Sachverhalt nicht der Fall; für die Tätigkeit der Ärztin in der Praxis lag keine Genehmigung vor.
Auch hat das SG Marburg das Vorliegen eines Schadens bejaht, obwohl die Verordnungen doch eine Ärztin vorgenommen hatte. Im Vertragsarztrecht gelte das Prinzip, wonach kein Raum für die Berücksichtigung hypothetischer alternativer Geschehensabläufe sei. Dies finde für Prüfverfahren gemäß § 106 SGB V wie auch für alle Arten von Verstößen gegen Gebote und Verbote Anwendung, es sei denn, es ist lediglich ein Verstoß gegen sog. Ordnungsvorschriften gegeben und verweist hierfür auf ein Urteil des Bundessozialgerichts vom 20. März 2013 – B 6 KA 17/12 R -. In dem entschiedenen Fall sei es indes nicht um eine Verletzung von Ordnungsvorschriften gegangen, sondern es seien fundamentale Grundsätze des Vertragsarztrechts nicht beachtet worden. Die ständige Rechtsprechung des Bundessozialgerichts unter anderen zum Leistungsrecht der gesetzlichen Krankenversicherung gehe nämlich davon aus, dass Bestimmungen, die die Vergütung ärztlicher oder sonstiger Leistungen von der Erfüllung bestimmter formaler oder inhaltlicher Voraussetzungen abhängig machen, innerhalb des GKV-Systems gewährleisten, dass sich die Leistungserbringung nach den für diese Art der Versorgung geltenden gesetzlichen und vertraglichen Bestimmungen vollzieht. Nur die Einhaltung bestimmter wichtiger Formalien — wie zweifellos die ärztliche Unterschrift unter einer Verordnung — könne garantieren, dass die Patienten Medikamente erhalten, die im Rahmen der ärztlich vorgesehenen Therapie verschrieben worden und unter ärztlicher Therapieverantwortung stehen und verweist hierzu auf das genannte Urteil des Bundessozialgerichts. Mithin kam das erkennende Gericht zu dem Schluss, dass die Unterschriften der nicht durch den Zulassungsausschuss genehmigten Ärztin nicht als Verstoß gegen bloße Ordnungsvorschriften zu werten waren und deshalb auch ein Schaden gegeben sei, der die Regressierung des Vertragsarztes rechtfertige.
RA Stefan W. Kallenberg