Es kommt immer wieder vor, dass Arbeitnehmer (fortlaufend m/w/d-bezogen) an ihrem Arbeitsplatz erscheinen und ihre arbeitsvertraglich vereinbarte Tätigkeit beginnen bzw. ihr nachgehen, obwohl sie noch krankgeschrieben sind. Dürfen Arbeitnehmer das tun? Und wenn ja, genießen sie „auf der Arbeit“ Versicherungsschutz?
Arbeitsrecht
Grundsätzlich respektive selbstverständlich gilt, dass der Arbeitgeber (fortlaufend m/w/d-bezogen) weder das Recht noch die Pflicht hat, den Arbeitnehmer zu beschäftigen, wenn dieser infolge einer Erkrankung arbeitsunfähig ist. Genauso selbstverständlich entfällt die Pflicht des Arbeitnehmers, die Arbeitsleistung zu erbringen.
Jedoch schließt die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung selbst eine Wiederaufnahme der Tätigkeit nicht zwingend aus. Sie enthält kein Beschäftigungsverbot für Arbeitnehmer, sondern lediglich eine Prognose des Arztes darüber, wie lange die Arbeitsunfähigkeit voraussichtlich andauern wird. Arbeitsunfähig sind Arbeitsnehmer, wenn sie aufgrund von Krankheit ihre zuletzt vor der Arbeitsunfähigkeit ausgeübte Tätigkeit nicht mehr oder nur unter der Gefahr der Verschlimmerung der Erkrankung ausführen können. Demnach kann ein Arbeitnehmer trotz Krankschreibung wieder an seinem Arbeitsplatz erscheinen und seine vertragsgemäße Tätigkeit aufnehmen, wenn er sich gesund fühlt.
Bei jeder Arbeitsaufnahme sind jedoch die nebenvertraglichen Fürsorgepflichten, die Arbeitnehmer und Arbeitgeber wechselseitig gemäß § 241 Abs. 1 BGB haben, zu berücksichtigen. Danach haben sie auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen des jeweils Anderen Rücksicht zu nehmen. Wenn der Arbeitgeber einen Angestellten trotz Arbeitsunfähigkeit im Betrieb beschäftigt, kann ein Verstoß gegen die Fürsorgepflicht vorliegen, und er kann sich gegenüber seinem Angestellten schadensersatzpflichtig machen. Zu erwähnen ist an dieser Stelle, dass bei Personenschäden eine Haftung nur bei Vorsatz besteht oder bei einem Schaden auf dem Arbeitsweg (§ 104 Abs. 1 SGB VII). Der Arbeitgeber sollte sich demnach sicher sein, dass der Angestellte tatsächlich wieder arbeitsfähig zu sein scheint. Auf der anderen Seite sollte auch der Arbeitnehmer seine Fürsorgepflicht dadurch wahren, dass er die Dauer seiner Krankschreibung abwartet, wenn er noch nicht wieder arbeitsfähig ist und seine Genesung mit der Arbeitsaufnahme gefährdet oder seinen Zustand verschlimmert. Der Arbeitnehmer kann ansonsten seinen potentiellen (Schadensersatz-)Anspruch gegenüber dem Arbeitgeber wegen Mitverschuldens gekürzt erhalten.
Falls dem Arbeitnehmer während seiner Arbeitsaufnahme klar wird, dass er sich doch noch nicht gesund genug fühlt, um seiner Arbeit wieder vollumfänglich nachgehen zu können, behält die ausgestellte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ihre Wirkung. Zu beachten ist, dass die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ihre Beweiswirkung für das Vorliegen einer Arbeitsunfähigkeit je nach konkretem Einzelfall verlieren kann. Wenn der Arbeitnehmer nach endgültiger Genesung wieder arbeiten kommt, muss er sich nicht ärztlich bescheinigen lassen, dass er wieder arbeitsfähig ist. Die Arbeitsfähigkeit tritt automatisch mit der definitiven Genesung wieder ein.
Sozialversicherungsrecht
Eine Frage ist stets, ob Arbeitnehmer versichert sind, wenn sie trotz Krankschreibung am Arbeitsplatz erscheinen (und dort tätig sind). Häufig wird irrtümlich angenommen, dass in diesen Fällen kein Versicherungsschutz besteht. Jedoch ergeben sich keine Besonderheiten. Arbeitnehmer sind nach wie vor gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 1 SGB V kranken- und gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII gesetzlich unfallversichert. Der Versicherungsschutz umfasst nämlich alle Tätigkeiten, die ein Bestandteil des Arbeitsverhältnisses sind, somit also auch die Wiederaufnahme der Tätigkeit nach einer Arbeitsunfähigkeit. Insbesondere sind gemäß § 8 Abs. 2 Nr. 1 – 4 SGB VII auch die (unmittelbaren) Wege zum und vom Betrieb mitumfasst.
Fazit
Insgesamt empfiehlt es sich für den Arbeitnehmer, vorher Kontakt mit seinem Arbeitgeber aufzunehmen, wenn er während der Dauer der ärztlicherseits erfolgten Krankschreibung wieder an seinem Arbeitsplatz erscheinen möchte. So kann vorab ggf. für beide Seiten möglichst nachvollziehbar, besser noch überzeugend geklärt werden, ob der Arbeitnehmer tatsächlich (schon wieder) arbeitsfähig ist, und es besteht Klarheit über den Sozialversicherungsschutz, insbesondere falls auf dem Weg zur Arbeitsstelle bspw. gerade am ersten Tag der Arbeitsaufnahme ein Unfall geschieht. Arbeitgeber sollten möglichst seriös prüfen (können), ob ihre Angestellten zweifellos wieder arbeitsfähig sind und sie im bestehenden oder im sich wieder einstellenden Zweifelsfall nach Hause schicken, um nicht ihre Fürsorgepflicht zu verletzen und sich im ungünstigsten Fall ihren Angestellten gegenüber sogar schadensersatzpflichtig zu machen.
RA Helge Rust
Fachanwalt für Medizinrecht
Fachanwalt für Arbeitsrecht