Das Landessozialgericht Baden-Württemberg hat am 22.01.2019 zwei Prozesse entschieden, in denen es um die Frage ging, unter welchen Umständen Krankenhäuser eine Sepsis kodieren dürfen (L 11 KR 1049/18 und L 11 KR 3754/18).
In dem einen Streitfall ging es um eine Patientin, die mit Schmerzen in beiden Kniekehlen, im Lendenwirbelsäulenbereich und unterhalb der rechten Brust im Krankenhaus aufgenommen worden war. In zwei Blutkulturen fand sich der Erreger Streptococcus pneumoniae und die Patientin hatte Fieber. Des Weiteren wurden eine Tachykardie und eine Leukozytose festgestellt.
Bei der Patientin, um deren Behandlung es in dem zweiten Prozess ging, lagen zum Zeitpunkt der stationären Aufnahme eine Tachhypnoe und Hyperventilation sowie eine Leukozytose oder Leukopenie vor. Es wurde eine Blutkultur angelegt, die den Nachweis von Enterobacter cloacae und Enterococcus faecalis erbrachte.
Die Krankenhäuser stellten in den Abrechnungen an die Krankenkassen einmal die Hauptdiagnose A40.3 (Sepsis durch Streptococcus pneumoniae) sowie eine Sekundär- und eine Nebendiagnose und im anderen Fall die Hauptdiagnose A40.0 (Sepsis durch Streptokokken, Gruppe A). Die Krankenkassen beglichen die Rechnungen zunächst, beauftragten dann aber den Medizinischen Dienst mit der Prüfung. Sie beriefen sich schließlich in beiden Fällen darauf, dass eine Sepsis nicht hätte kodiert werden dürfen, weil ein lebensbedrohliches Krankheitsbild nicht vorgelegen habe. Im zweiten Fall brachte sie zusätzlich vor, dass zwingend eine zweite Blutkultur hätte angelegt werden müssen, um die Kodierung einer Sepsis zu ermöglichen.
Die Krankenkassen korrigierten ihrer Auffassung entsprechend die Rechnungen der Krankenhäuser und brachten die ermittelten Überzahlungen bei den nächsten Überweisungen an die Krankenhäuser in Abzug. Die Krankenhausträger klagten die verrechneten Beträge ein.
Das Landessozialgericht hat in beiden Fällen die Krankenkassen antragsgemäß verurteilt.
Hinsichtlich der Definition einer Sepsis bezog sich das Gericht auf die FAQ Nr. 1007 des DIMDI (Deutsches Institut für medizinische Dokumentation und Information), die Hinweise zur Definition eines SIRS (systemisches inflammatorisches Response-Syndrom) entsprechend den Vorgaben der DIVI (Deutsche Interdisziplinäre Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin) und der DSG (Deutsche Sepsis-Gesellschaft) enthält. Demnach waren in beiden Fällen die Voraussetzungen für die Diagnostizierung einer Sepsis gegeben. In den Blutkulturen waren Bakterien gefunden worden und von den angeführten vier klinischen Kriterien waren mindestens zwei erfüllt, nämlich das Fieber, die Tachykardie und die Leukozytose beziehungsweise die Tachhypnoe und Hyperventilation sowie die Leukozytose oder Leukopenie.
Das Landessozialgericht wies auch darauf hin, dass tatsächlich nach der neuen Sepsis-3-Definition der 3. Konsensus-Konferenz eine Sepsis als „lebensbedrohliche Organdysfunktion, die durch eine fehlregulierte Wirtsantwort auf eine Infektion hervorgerufen wird“ anzusehen ist. Da aber in Deutschland weder in den Leitlinien noch in der ICD-10-Klassifikation oder den Deutschen Kodierrichtlinien Änderungen vorgenommen worden seien, die dieser neuen Definition korrespondierten, könne die Kodierung einer Sepsis nicht deshalb abgelehnt werden, weil die Erkrankung nicht lebensbedrohlich gewesen sei.
Zu dem Einwand, dass lediglich eine Blutkultur angelegt worden sei, verwies das Landessozialgericht zunächst darauf, dass eine Verpflichtung, zwei Kulturen anzuzüchten, den Vorgaben der DIVI, der DSG und des DIMDI nicht zu entnehmen sei. Darüber hinaus sei eine zweite Blutkultur entbehrlich gewesen, weil bereits in der ersten Kultur Erreger gefunden worden seien.
Derzeit kann also – noch? – nach der bisher geläufigen Definition der Sepsis kodiert werden. Zu beachten ist allerdings, ob die einschlägigen deutschen Regelungen eines Tages der Sepsis-3-Definition angepasst werden.
RA Maurice Berbuir
Fachanwalt für Medizinrecht