Das Bundessozialgericht hat am 30.07.2019 einen Prozess entschieden, in dem es um die Frage ging, ob der Einsatz von CPAP/HFNC-Systemen bei Neugeborenen und Säuglingen als Beatmungszeit im Sinne der Kodierungsrichtlinien anzusehen ist (Az. B 1 KR 13/18 R).
Im Universitätsklinikum der Klägerin wurde am 27.12.2009 der Patient geboren, der bei einem Geburtsgewicht von 1.335 g in der Zeit bis zum 01.03.2010 vollstationär auf der Neugeborenen-Intensivstation behandelt wurde. Der Säugling wurde von Geburt an beatmet und zwar zunächst, nämlich bis zum 28.12.2009, mittels eines Tubus im Rachen und anschließend bis zum 30.12.2009 per Atemmaske. Für diese initiale Beatmung fielen aufgerundet 72 Stunden an. Anschließend erhielt der Säugling während weiterer 33 Stunden Atemluft mit Hilfe einer High-Flow-Nasenkanüle (HFNC) über eine Brille, die an ein Beatmungsgerät angekoppelt war. Das Beatmungsgerät reicherte das Atemgas an, wärmte und feuchtete es an und setzte es unter Beatmungsdruck. Im Anschluss daran erfolgte eine Low-Flow-Beatmung mit geringerem Beatmungsdruck.
Die Universitätsklinik kodierte insgesamt 105 Beatmungsstunden, wobei die Zeit mit der Low-Flow-Beatmung außer Betracht blieb. Sie berechnete aus dem Fallpauschalen-Katalog 2009 die DRG P03C, die unter anderem eine Beatmungsdauer von mehr als 95 Stunden voraussetzt.
Die beklagte Krankenkasse bezahlte anstelle des Rechnungsbetrags in Höhe von nahezu 40.000,00 € lediglich 30.801,44 € nach der niedriger vergüteten DRG P64Z. Sie vertrat die Auffassung, dass die Atemunterstützung per HFNC bei der Ermittlung der Beatmungsdauer nicht zu berücksichtigen sei.
Das Sozialgericht holte ein neonatologisches Gutachten ein und verurteilte die Krankenkasse, den zurückgehaltenen Betrag an das Universitätsklinikum zu zahlen. Auch das Landessozialgericht hatte entschieden, dass die Zeit der HFNC-Therapie die Voraussetzungen einer maschinellen Beatmung im Sinne der Deutschen Kodierrichtlinien erfülle und dementsprechend der offen gebliebene Betrag zu zahlen sei. Das Landessozialgericht war außerdem der Auffassung, dass die Behandlung mit HFNC zumindest als Entwöhnung von der Beatmung anzusehen und deshalb zur Beatmungsdauer hinzuzurechnen sei.
Das Bundessozialgericht hat jedoch der Revision der beklagten Krankenkasse stattgegeben und die Klage des Universitätsklinikums abgewiesen.
Das Bundessozialgericht ging in seiner Entscheidung hier – wie auch ansonsten stets, wenn es um die Abrechnung von Fallpauschalen geht – vom Wortlaut der Fallpauschale und der einschlägigen Kodierrichtlinie aus. Die im Jahr 2009 anzuwendende DRG P03C setzte mehr als 95 Beatmungsstunden voraus. Für die Beantwortung der Frage, welche Anforderungen an „Beatmungsstunden“ in diesem Sinne zu stellen sind, zog das Bundessozialgericht die seinerzeit maßgebliche Kodierregel DKR 1001h heran. Danach sei künstliche Beatmung ein Vorgang, bei dem Gase mittels einer mechanischen Vorrichtung in die Lunge bewegt werden. Die Atmung werde hierbei unterstützt durch das Verstärken oder Ersetzen der eigenen Atemleistung des Patienten. In der Regel sei der Patient intubiert und tracheotomiert und werde fortlaufend beatmet. Bei intensivmedizinisch versorgten Patienten könne eine derartige Beatmung auch über Maskensysteme erfolgen, wenn diese anstelle der bisher üblichen Intubation oder Tracheotomie eingesetzt würden.
Der Säugling im vorliegenden Fall sei aber weder intubiert noch tracheotomiert worden. Vielmehr handele es sich bei einer High-Flow-Nasenkanüle, die über eine Brille an ein Beatmungsgerät angekoppelt werde, um eine offene Methode der Atemunterstützung. Ein entscheidender Unterschied zur maschinellen Beatmung liege darin, dass der Patient selbst und spontan atme. Dies gelte auch dann, wenn die Beatmungsmaschine sicherstelle, dass der Atemwegsdruck nie unter ein bestimmtes Niveau falle (CPAP). Das Bundessozialgericht zitiert hierzu noch eine Entscheidung des Hessischen Landessozialgerichts vom 09.11.2017 (Az. L 1 KR 166/15), nach der es sich streng medizinisch-physikalisch bei der HFNC nicht um eine maschinelle Beatmung handele.
Das Bundessozialgericht hat mit dieser Entscheidung wieder einmal eine umstrittene Frage zur Auslegung der Kodierrichtlinien und deren Anwendung geklärt. Dies ist zu begrüßen, nachdem es durch unterschiedliche Entscheidungen der Landessozialgerichte hier zu erheblicher Unsicherheit gekommen ist.
RAin Cornelia Weitekamp
Fachanwältin für Medizinrecht
Fachanwältin für Arbeitsrecht