Vor dem Landesarbeitsgericht Nürnberg (LAG) stritt eine medizinische Fachangestellte (Klägerin) mit ihrem Arbeitgeber (Beklagter) um die Wirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung wegen des Vortäuschens von Arbeitsunfähigkeit, den Widerruf einer erteilten Urlaubsgenehmigung, Entgeltansprüche und die Berichtigung eines erteilten Arbeitszeugnisses (Urt. v. 27.07.2021, Az.: 7 Sa 359/20). Das LAG stellte hierzu grundlegende Prinzipien des Arbeitsrechts heraus:
Vortäuschen von Arbeitsunfähigkeit
- Das Vortäuschen von Arbeitsunfähigkeit kann einen wichtigen Grund im Sinne von § 626 Abs. 1 BGB darstellen.
- Bleibt der Arbeitnehmer* unter Vorlage eines Attests der Arbeit fern und lässt sich sein Entgelt fortzahlen, obwohl dieser tatsächlich nicht arbeitsunfähig ist, ist dies regelmäßig auch strafrechtlich relevant.
- Eine ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ist wegen des hohen Beweiswertes nur dann erschüttert, wenn die vom Arbeitgeber vorgetragenen Tatsachen ernsthafte Zweifel an der bescheinigten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung begründen.
Widerruf der Urlaubsgenehmigung
- Die einmal erteilte Urlaubsgenehmigung kann nur dann vom Arbeitgeber wirksam widerrufen werden, wenn diesem ansonsten ein außerordentlicher Schaden droht und dem Arbeitnehmer der Verzicht auf den Urlaub zum genehmigten Zeitpunkt zumutbar ist.
Ausstellung und Abholung des Arbeitszeugnisses
- Die Darlegungs- und Beweislast für ein überdurchschnittliches Zeugnis liegt beim Arbeitnehmer, für ein unterdurchschnittliches Zeugnis beim Arbeitgeber. Anderenfalls ist ein durchschnittliches Zeugnis auszustellen.
- Es obliegt dem Arbeitnehmer, das ausgestellte Arbeitszeugnis abzuholen. Der Arbeitgeber muss dieses nur ausstellen und zur Abholung bereithalten (Holschuld).
Der Beklagte betreibt die einzige Allgemeinarztpraxis am Ort. Für die Zeit von Freitag, dem 03.04.2020, bis zum Ostermontag, dem 13.04.2020, hatte der Beklagte eine Praxisschließung geplant und allen Beschäftigten Urlaub erteilt. Nachdem eine Mitarbeiterin positiv auf das Coronavirus getestet wurde und das Gesundheitsamt in der Folge eine Quarantäneanordnung für alle Mitarbeitenden bis zum einschließlich 02.04.2020 aussprach, teilte der Beklagte seinen Beschäftigten per Textnachricht mit, dass eine Schließung für eine Woche nun nicht länger in Betracht komme und verschob den Urlaub um eine Woche.
Am 01.04.2020 teilte die Klägerin dem Beklagten mit, dass sie an dem Urlaub festhalten wolle. Eine Verschiebung des Urlaubs sei mit ihrer Familie nicht vereinbar, zudem sei sie immunsupprimiert und benötige auch aus gesundheitlichen Gründen eine Pause. Der Beklagte hielt jedoch an seiner Entscheidung fest. Die Klägerin wurde sodann vom 03.04.2020 bis 09.04.2020 arbeitsunfähig krankgeschrieben. Als Sie am 14.04.2020 wieder in die Praxis kam, übergab der Beklagte der Mitarbeiterin die außerordentliche, fristlose, hilfsweise fristgerechte Kündigung zum 30.06.2020.
Gegen die außerordentliche Kündigung erhob die Klägerin am 22.04.2020 Kündigungsschutzklage vor dem Arbeitsgericht Würzburg (ArbG). Der Beklagte machte erstinstanzlich geltend, dass die Klägerin sich, ohne tatsächlich krank zu sein, habe arbeitsunfähig krankschreiben lassen, was die außerordentliche Kündigung rechtfertige. Dies sah das ArbG anders und gab der Klägerin mit Urteil vom 04.08.2020 (Az.: 2 Ca 600/20) Recht. Zwar könne das Vortäuschen einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung einen wichtigen Grund für eine fristlose Kündigung darstellen, der Beklagte habe dies allerdings nicht beweisen können.
Gegen diese Entscheidung des ArbG ließ der Beklagte Berufung bei dem Landesarbeitsgericht Nürnberg (LAG) einlegen; im Ergebnis erfolglos:
Das LAG verwies in seinem (rechtskräftigen) Urteil vom 27.07.2021 zur Frage nach der Wirksamkeit der außerordentlichen Kündigung zunächst auf die ständige Rechtsprechung, dass ein wichtiger Grund stets in zwei Stufen zu prüfen ist: In der ersten Stufe, ob ein wichtiger Grund besteht und in der zweiten Stufe, ob dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Dienstverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist unzumutbar ist. Die Darlegungs- und Beweislast – dies war hier maßgeblich entscheidungserheblich – liegt dabei beim Kündigenden. Zwar könne das Vortäuschen von Arbeitsunfähigkeit einen wichtigen Grund im Sinne einer außerordentlichen Kündigung (§ 626 Abs. 1 BGB) darstellen. Auch sei regelmäßig der Straftatbestand des Betruges vollendet (siehe BAG, Urt. v. 29.06.2017, Az.: 2 AZR 597/16). Allerdings obliegt es eben dem Arbeitgeber, so das LAG, den Kündigungsvorwurf zu beweisen. In diesem Zusammenhang stellte das LAG klar, dass einer ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung grundsätzlich ein hoher Beweiswert zukomme. Dieser könne zwar durch entsprechende Tatsachen erschüttert werden, der Arbeitgeber hat diese im Streitfall aber zweifelsfrei zu beweisen. Das LAG sah die Vorgeschichte zur später erfolgten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung zwar grundsätzlich als ausreichend an, um den Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung zu erschüttern. Dass die Klägerin, die mit dem Urlaubswiderruf ausdrücklich nicht einverstanden war, sodann genau für diesen Zeitraum arbeitsunfähig erkrankte, könne nur schwer als Zufall begriffen werden. Nach Ansicht des Gerichts trug die Klägerin aber zum einen hinreichend verständlich und glaubhaft zu ihrer Erkrankung und der darauffolgenden Arbeitsunfähigkeit vor. Und den Nachweis eines (etwaigen) Erschleichens der erteilten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung konnte der Beklagte zum anderen nicht erbringen.
Darüber hinaus stellte das LAG unter Verweis auf die ständige Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) klar, dass der bewilligte, aber noch nicht angetretene Urlaub, ausnahmsweise durch den Arbeitgeber einseitig widerrufen werden kann, wenn diesem bei Erbringung des erteilten Urlaubes außerordentliche Schäden drohen und dem Arbeitnehmer zudem der Verzicht auf die Erbringung des Urlaubes zum bewilligten Zeitraum zumutbar ist. Dies sei im vorliegenden Fall jedoch nicht ersichtlich.
Von besonderer Relevanz sind die Ausführungen des LAG dahingehend, dass die Tage vom 03.04.2020 bis zum 09.04.2020 (widererwartend) auf den Urlaubsanspruch der Klägerin anzurechnen seien. Da die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung der Klägerin in ihrem Beweiswert – wie oben dargestellt – zumindest erschüttert ist, war es nach Ansicht des LAG an der Klägerin, den Vollbeweis zu führen, dass sie arbeitsunfähig erkrankt war. Und dies ist der Klägerin nicht zur Überzeugung des Gerichts gelungen. Zwar sagte die Ärztin, die der Klägerin die Arbeitsunfähigkeit attestierte, grundsätzlich zu deren Gunsten aus, eine persönliche Untersuchung der Klägerin hatte im Vorfeld der ausgestellten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung jedoch nicht stattgefunden. Die ärztliche Zeugin hatte die Klägerin zu ihrer Erkrankung nur telefonisch befragt, hatte sich also keinen persönlichen Eindruck über den Gesundheitszustand der Klägerin verschafft. Im Hinblick auf die Vorerkrankung der Klägerin sei laut LAG eine Unterscheidung zwischen Krankheit und Arbeitsunfähigkeit nicht deutlich geworden. Insbesondere hätte es die Zeugin nicht vermocht, zu begründen, inwiefern Kopfschmerzen und Erschöpfung überhaupt eine Arbeitsunfähigkeit bedingen würden und dies auch noch für einen derart langen Zeitraum; eine erstaunlich tiefe medizinische Auseinandersetzung im arbeitsrechtlichen Umfeld.
Weiter trug das LAG dem Beklagten auf, der Klägerin ein berichtigtes Zeugnis auszustellen. Hierzu stellte das LAG klar, dass sich der gesetzlich geschuldete Inhalt des Zeugnisses aus dem mit diesem verfolgten Zweck bestimme. Für den Arbeitnehmer bedeute das Zeugnis eine Bewerbungsunterlage, für den Arbeitgeber demgegenüber ein Kriterium bei der Personalauswahl. Inhaltlich müsse das Zeugnis den Geboten der Zeugniswahrheit und -klarheit genügen sowie formal dem üblichen Aufbau entsprechen. In der Wahl der Formulierungen sei der Arbeitgeber unter Erfüllung dieser Voraussetzungen hingegen frei. Wichtig ist an dieser Stelle insbesondere, dass die Darlegungs- und Beweislast für ein überdurchschnittliches Zeugnis – so das LAG – beim Arbeitnehmer liege, die Darlegungs- und Beweislast für ein unterdurchschnittliches Zeugnis beim Arbeitgeber. Gelingt weder der Beweis in die eine, noch in die andere Richtung, so sei grundsätzlich ein durchschnittliches Zeugnis auszustellen. Grund und Art des Ausscheidens des Arbeitnehmers seien gegen den Willen des Arbeitnehmers allerdings nicht in das Zeugnis aufzunehmen. Ferner stellte das LAG heraus, dass für die tatsächliche Inbesitznahme eines schriftlich abgesetzten Arbeitszeugnisses eine Holschuld besteht, sprich, der Arbeitgeber eine Zusendung nur dann ausnahmsweise schuldet, wenn die Abholung für den Arbeitnehmer nur mit unverhältnismäßig großem Aufwand möglich ist.
*Die idR von ihrer Buchstabenanzahl her kürzeren Wörter der männlichen Geschlechtsbezeichnungen werden im Text geschlechtsneutral verwandt.
RA Helge Rust
Fachanwalt für Medizinrecht
Fachanwalt für Arbeitsrecht