Die Klägerin war seit 1999 als Fachärztin für Frauenheilkunde und Geburtshilfe vertragsärztlich zugelassen. Sie stellte bei der beklagten Kassenärztlichen Vereinigung (KV) den Antrag auf Genehmigung zur Beschäftigung einer Entlastungsassistentin, um sich der Erziehung ihres 1999 geborenen Adoptivsohnes zu widmen. Dies lehnte die KV 2015 mit der Begründung ab, ihr Sohn habe bereits das 14. Lebensjahr vollendet.
Anders verfuhr die KV mit dem Antrag auf Beschäftigung einer Entlastungsassistentin für und wegen der Erziehung eines weiteren, 2005 geborenen Adoptivsohnes. Sie genehmigte ihn im Umfang von 20 Wochenstunden, und zwar für die Dauer von insgesamt 36 Monaten. Einen sich hieran anschließenden Antrag der Klägerin, ihr ab dem 1.7.2019 erneut die Beschäftigung eines Entlastungsassistenten zu genehmigen, bis das jüngere Kind das 18. Lebensjahres vollendet hatte, wies die KV ab, da nunmehr auch der zweite Sohn der Klägerin das 14. Lebensjahr vollendet habe.
Der wegen des Zeitablaufs erhobenen, zulässigen Fortsetzungsfeststellungsklage der Klägerin haben die Vorinstanzen stattgegeben und festgestellt, dass der Bescheid der beklagten KV aus dem Jahr 2015 rechtswidrig gewesen ist. Die Beklagte hätte der Klägerin die beantragte Genehmigung erteilen müssen, auch wenn ihr älterer Sohn im Zeitpunkt der Antragstellung bereits 15 Jahre alt war.
Das Bundessozialgericht (BSG) hat die hiergegen gerichtete Revision der KV zurückgewiesen, da die Entscheidung im Ergebnis zutreffend sei, auch wenn das Urteil der Vorinstanz nicht in vollem Umfang mit bundesrechtlichen Regelungen in Einklang stehe (BSG, Urteil vom 14.07.2021 – B 6 KA 15/20 R).
So versteht der erkennende Senat des BSG das Merkmal „Erziehung von Kindern“ im Sinne von § 32 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 Ärzte-ZV so, dass „Kind“ in diesem Sinne jeder Mensch bis zu seiner Volljährigkeit sein kann. Auch wenn der Gesetzgeber mit der Regelung des § 32 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 Ärzte-ZV die Belastungen habe ausgleichen wollen, die mit der Betreuung von Kindern gerade in deren ersten Lebensjahren verbunden sind, so stünde nach Auffassung des BSG eine Begrenzung der Genehmigungsfähigkeit einer Entlastungsassistenz auf und für die Zeit bis zur Vollendung des 8. Lebensjahres des Kindes – wie im Bundeselterngeld & Elternzeitgesetz ( BEEG ) geregelt – ebenso wenig in Einklang mit § 32 Ärzte-ZV wie die Auslegung der KV, wonach „Kind“ in Abgrenzung zum „Jugendlichen“ nur ein Abkömmling bis zur Vollendung des 14. Lebensjahres sein kann. Falls der Gesetzgeber das Verständnis des Begriffs „Kind“ als das einer Person bis zu deren Volljährigkeit für zu weit gezogen halte, müsse er eine klarstellende Änderung von § 32 Ärzte-ZV vornehmen.
Darüber hinaus hat das BSG entschieden, dass einem Vertragsarzt die Möglichkeit des Einsatzes einer Entlastungsassistenz für jedes Kind zur Verfügung stehen muss und das für die Dauer von 36 Monaten. Einen Vertragsarzt, der 24 Monate für das erste Kind in Anspruch genommen hat, nach der – möglicherweise in größerem zeitlichem Abstand erfolgten – Geburt des zweiten und eventuell dritten Kindes darauf zu verweisen, nur noch insgesamt 12 Monate beanspruchen zu können, sei nicht rechtens. Allerdings gilt der Grundsatz, dass die Dauer von 36 Monaten pro Kind zu verstehen ist, mit folgender Einschränkung: Wird ein zweites Kind geboren, bevor eine Entlastungsassistenz für 36 Monate für das erste Kind vollständig in Anspruch genommen worden ist, stehen dem Elternteil zwar erneut 36 Monate für das zweite Kind zu, nicht aber 36 Monate zuzüglich der „unverbrauchten“ Monate für das erste Kind.
Stefan W. Kallenberg
Rechtsanwalt (of Counsel)
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Herr Kallenberg hat vor seinem Eintritt in die Kanzlei in verschiedenen Funktionen im Arbeits- und Sozialrecht gearbeitet, so zunächst in der Rechtsabteilung einer international tätigen Unternehmensberatung mit dem Schwerpunkt der Rechtsberatung zu Fragen der betrieblichen Altersversorgung.
Mitte der 1990’iger Jahre wechselte er als stellvertretender Justitiar zur Kassenärztlichen Vereinigung Nordrhein, um dann ab der Jahrtausendwende deren Bezirksstelle in Köln als Verwaltungsdirektor und Geschäftsführer zu leiten.
In den 27 Jahren seiner Tätigkeit für die Kassenärztliche Vereinigung Nordrhein ist Herr Kallenberg zu einem Kenner jener Rechtsfragen geworden, die sich mit den Aufgaben einer Kassenärztlichen Vereinigung verbinden: Sicherstellung, Gewährleistung und Interessensvertretung vertragsärztlicher Tätigkeit im System der gesetzlichen Krankenversicherung. Hier liegt auch der Schwerpunkt seiner Tätigkeit als Rechtsanwalt in der Kanzlei DR. HALBE RECHTSANWÄLTE.