Das Bundesverfassungsgericht hat mit Beschluss vom 26.11.2018 die Verfassungsbeschwerden mehrerer Krankenhausträger gegen verschiedene Entscheidungen des Bundessozialgerichts nicht zur Entscheidung angenommen, in denen es um die sog. sachlich-rechnerische Fallprüfung ging (Az. 1 BvR 318/17, 1 BvR 1474/17, 1 BvR 2207/17).
Im Ergebnis billigt das Bundesverfassungsgericht die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts, weil die Grenzen der zulässigen und verfassungsgemäßen richterlichen Rechtsfortbildung noch nicht überschritten seien.
Das Bundesverfassungsgericht nimmt allerdings zur Kenntnis, dass der Wortlaut „ordnungsgemäße Abrechnung“ in § 275 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 2 SGB V gegen das Normverständnis des Bundessozialgerichts spricht. Es weist sodann darauf hin, dass das Bundessozialgericht den Begriff der sachlich-rechnerischen Prüfung dem Vertragsarztrecht entnommen hat. Damit ergebe sich ein gesetzlicher Anknüpfungspunkt für das Rechtsverständnis des Bundessozialgerichts, auch wenn sich dieser in einem anderen Kontext finde. Hierzu ist kritisch anzumerken, dass im vertragsarztrechtlichen Bereich insoweit mit § 106d SGB V eine Norm existiert, während die vom BSG erdachte Prüfart für die stationäre Abrechnung gerade keine klare gesetzliche Stütze findet.
Das Bundesverfassungsgericht führt weiter aus, dass die angegriffene Rechtsprechung jedoch gewichtige Gründe für sich habe. So ließen bereits die typischerweise anfallenden Kosten für stationäre Krankenhausaufenthalte und deren regelmäßige Steigerung es verständlich erscheinen, dass eine eingeschränkte Prüftätigkeit der Krankenkassen problematisch sei. Zudem ergebe sich das legitime Interesse der Krankenkassen, die sachlich-rechnerische Richtigkeit von Abrechnung prüfen zu können, aus den Besonderheiten des DRG-Abrechnungssystems, bei welchem es sich gerade um ein lernendes System handele. Denn wo Fehler aufträten und Reformbedarf bestehe, sei für die Krankenkassen erst nach Prüfung der Abrechnungen ohne Einschränkungen erkennbar. Auch wenn nicht alle Prüffälle zu einer Reduzierung des Abrechnungsbetrages führten, verdeutliche der Anteil von 40% fehlerhafter Abrechnungen diesen Prüfbedarf der Krankenkassen.
Demzufolge setze sich die Interpretation des Bundessozialgerichts in den angegriffenen Entscheidungen nicht über den klar erkennbaren Willen des Gesetzgebers hinweg und respektiere die gesetzgeberische Grundentscheidung. Diese liege in § 275 Abs. 1 SGB V, wonach Krankenkassen die Möglichkeit haben sollen, Abrechnungen von Leistungsträgern zu überprüfen. Durch die Formulierung „insbesondere“ sei zudem im Wesentlichen die Wirtschaftlichkeitsprüfung erfasst, wobei von der Aufnahme einer ausdrücklichen sachlich-rechnerischen Prüfung seitens des Gesetzgebers abgesehen wurde. Das Bundesverfassungsgericht erkennt zwar, dass aufgrund der Komplexität der Kodierregeln fehlerhafte Kodierungen nicht auszuschließen seien. Der Entstehungsgeschichte des Systemwechsels auf Fallpauschalen sei aber nicht zu entnehmen, ob der Gesetzgeber Fehlkodierungen als weitere Fallgruppe des § 275 Abs. 1c SGB V verstanden habe oder sich des Unterschieds zwischen einer sachlich-rechnerischen Prüfung und einer Wirtschaftlichkeitsprüfung nicht hinreichend bewusst gewesen sei.
Etwas anderes ergibt sich dem Bundesverfassungsgericht zufolge auch nicht aus der Rechtsänderung zum 01.01.2016, obwohl durch die Einführung des § 275 Abs.1c S.4 SGB V unverkennbar die angegriffene Rechtsprechung des Bundessozialgerichts korrigiert werden sollte. Denn der Gesetzgeber habe hier eine „Neuregelung“ vorgenommen (vgl. BT-Drs. 18/6586, S. 110 – unbeachtet lässt das BVerfG, dass noch im Referentenentwurf von einer „Klarstellung“ die Rede war, ohne dass die Umformulierung im Verlauf begründet wurde), so dass es kein Indiz für einen schon vor der Änderung bestehenden anderslautenden Willen des Gesetzgebers gebe. Vielmehr sei der Formulierung zu entnehmen, dass der Gesetzgeber auf die Rechtsentwicklung nunmehr reagiere und die vorherige ständige Rechtsprechung des Bundessozialgerichts grundsätzlich akzeptiere. Daraus lasse sich das Bild eines verfassungsrechtlich akzeptablen Wechselspiels von Rechtsprechung und Rechtsetzung erkennen. Auch sei es nicht zu beanstanden, dass das BSG der Neuregelung keine Rückwirkung auf den Zeitraum vor dem 01.01.2016 zubillige.
Des Weiteren führt das Bundesverfassungsgericht aus, dass die Grenzen der richterlichen Rechtsfortbildung enger zu ziehen seien, wenn sie sich nachteilig auf ein verfassungsrechtlich besonders geschütztes Rechtsgut auswirke. Es sieht daher für die angegriffene Rechtsprechung einen weiten Spielraum, da lediglich Zahlungsansprüche betroffen seien und es insoweit um die Reichweite eines Steuerungsinstruments gehe.
Schließlich werde auch keine verfassungsrechtlich bedenkliche Asymmetrie verursacht durch die unterschiedlich langen Fristen zur Prüfung der sachlich-rechnerischen Richtigkeit von vier Jahren für die Krankenkassen und bis zum Ablauf des nächsten Kalenderjahres für die Krankenhausträger. Denn den Krankenhäusern lägen die erforderlichen Informationen von Anfang an vollständig vor, während die Krankenkassen auf die entsprechende Übermittlung angewiesen seien.
Zusammenfassend führt das Bundesverfassungsgericht somit aus, dass die Interpretation des Bundessozialgerichts zwar nicht naheliegend gewesen sei, sich daraus jedoch (noch) keine Verfassungswidrigkeit ergebe. Für Fälle mit Aufnahme bis zum 31.12.2015 steht den Krankenhäuern demnach bei einer rein sachlich-rechnerischen Prüfung keine Aufwandspauschale nach § 275 Abs. 1c S. 3 SGB V zu, wobei umstritten ist, ob es insoweit wirklich auf das Aufnahmedatum oder aber die Einleitung der MDK-Prüfung ankommt. Ungeklärt bleibt ebenfalls weiterhin die Frage, ob auch die Rückforderung von Aufwandspauschalen, die vor der Veröffentlichung der rechtsfortbildenden Urteile des BSG ab dem 01.07.2014 entstanden sind, rechtlich zulässig ist.
RAin Cornelia Weitekamp
Fachanwältin für Medizinrecht
Fachanwältin für Arbeitsrecht