Mit Urteil vom 21.05.2019 (Az. VI ZR 299/17) hat der BGH entschieden, dass die zum „Schockschaden“ entwickelten Grundsätze auch in dem Fall anzuwenden sind, in dem das haftungsbegründende Ereignis kein Unfallereignis im eigentlichen Sinne, sondern eine fehlerhafte ärztliche Behandlung ist. Eine Rechtfertigung dafür, die Ersatzfähigkeit von „Schockschäden“ im Falle ärztlicher Behandlungsfehler weiter einzuschränken als im Falle von Unfallereignissen, bestehe grundsätzlich nicht.
Demnach können psychische Gesundheitsbeeinträchtigungen, die jemand aufgrund der fehlerhaften ärztlichen Behandlung eines nahen Angehörigen erleidet, eine Gesundheitsverletzung im Sinne von § 823 Abs. 1 BGB darstellen, wenn die psychischen Beeinträchtigungen pathologisch fassbar sind und nach Art und Schwere über das hinausgehen, was nahe Angehörige in vergleichbarer Lage erfahrungsgemäß erleiden.
Gestützt darauf, dass ihr inzwischen verstorbener Ehemann, in dem von der Beklagten betriebenen Krankenhaus grob fehlerhaft behandelt worden sei und aufgrund dessen mehrere Wochen in akuter Lebensgefahr geschwebt habe, nimmt die Klägerin die Beklagte auf materiellen und immateriellen Schadensersatz in Anspruch, da sie hierdurch massive psychische Beeinträchtigungen in Form eines depressiven Syndroms mit ausgeprägten psychosomatischen Beschwerden und Angstzuständen erlitten habe.
Das Landgericht Köln hat die Klage abgewiesen und das OLG Köln die dagegen gerichtete Berufung der Klägerin zurück gewiesen.
Das Berufungsgericht hatte zutreffend angenommen, dass die zu dem „Schockschaden“ entwickelten Grundsätze auf fehlerhafte ärztliche Behandlungen anzuwenden sind. Ein Anspruch der Klägerin wurde jedoch verneint, da sich der Ehemann der Klägerin bereits durch eine bei der Koloskopie schicksalhaft eingetretenen Darmperforation in einem potentiell lebensbedrohlichen Zustand befunden habe, als es infolge des Behandlungsfehlers zu einer lebensbedrohlichen Peritonitis kam. Denn das Erleben einer nach ärztlicher Behandlung eingetretenen Verschlechterung des Gesundheitszustandes eines nahen Angehörigen sei dem allgemeinen Lebensrisiko zuzurechnen und unterfalle daher nicht dem Schutzzweck der deliktischen und vertraglichen Haftung.
Diese Annahme wertete der BGH als rechtsfehlerhaft. Es habe sich nicht bloß ein allgemeines Lebensrisiko verwirklicht. Die Peritonitis und der mit ihr einhergehende akut lebensbedrohliche Zustand des Patienten sei jedenfalls auch Folge eines ärztlichen Behandlungsfehlers im Hause der Beklagten. Der Behandlungsfehler sei damit nicht nur adäquat kausal für die Lebensgefahr des Patienten, vielmehr realisierte sich für den Patienten in seiner lebensbedrohlichen Erkrankung auch das dem Behandlungsfehler innewohnende Risiko, so dass sich nicht bloß ein allgemeines Lebensrisiko verwirklicht habe. Für die Gesundheitsverletzung der Klägerin gelte im Ergebnis nichts anderes.
RA Maurice Berbuir
Fachanwalt für Medizinrecht