Darf ein Zahnarzt mit „Master of Science Kieferorthopädie“ mit den Angaben „Praxis für Kieferorthopädie“ werben? – kommt drauf an!
Die Problematik rund um die Werbung mit spezifischen Fachbezeichnungen und Qualifikationen ist kein neues Thema und längst Dauerbrenner vor den zuständigen Gerichten. Neu ist allerdings, dass der Bundesgerichtshof (BGH) jüngst mit Urteil vom 29.07.2021 (Az. I ZR 114/20) entschieden hat, dass auch ein Zahnarzt, der keinen Fachzahnarzt für Kieferorthopädie, aber einen entsprechend ausgerichteten Master absolviert hat, unter Einhaltung gewisser Rahmenbedingungen mit den Angaben „Kieferorthopädie“ und „(Zahnarzt-)Praxis für Kieferorthopädie“ werben darf.
Grundsatz: Werbende Angaben dürfen den adressierten Verkehrskreis nicht irreführen
Der beklagte Zahnarzt erwarb 2012 einen Masterabschluss mit dem Titel „Master of Science Kieferorthopädie“ und erbringt seitdem kieferorthopädische Leistungen. Einen Abschluss als Fachzahnarzt für Kieferorthopädie absolvierte der Beklagte hingegen nicht.
Die Klägerin beantragte, den Beklagten dazu zu verurteilen es zu unterlassen, mit den Angaben „Kieferorthopädie“, „(Zahnarzt-)Praxis für Kieferorthopädie“ sowie „Kieferorthopädie der Zahnärzte“ auf seiner Website zu werben. Die Angaben liefen Gefahr, den Verbraucher oder sonstige Marktteilnehmer irrezuführen und zu einer geschäftlichen Entscheidung zu veranlassen, die diese andernfalls nicht getroffen hätten. Die Angaben des Beklagten auf seiner Website würden bei dem adressierten Verkehrskreis den Anschein erwecken, er sei Fachzahnarzt für Kieferorthopädie.
Das zuständige Landgericht Düsseldorf (LG) gab der Klage zunächst statt (Urt. v. 06.03.2019 – 34 O 75/18), das Berufungsgericht änderte das Urteil des LG sodann jedoch ab und wies die Klage zurück (OLG Düsseldorf, Urt. v. 18.06.2020 – I-20 U 35/19). Die von der Internetwerbung des Beklagten angesprochenen Verkehrskreise verstünden die beanstandeten Angaben zwar dahingehend, dass in seiner Zahnarztpraxis kieferorthopädische Behandlungen angeboten würden und der Beklagte über einen entsprechenden Tätigkeitsschwerpunkt und ausgewiesene Kenntnisse verfüge. Das Verständnis des durchschnittlichen Verbrauchers umfasse aber gerade nicht auch die Erwartung, dass die Praxis des Beklagten mindestens über einen Fachzahnarzt für Kieferorthopädie verfüge.
Dies sah der BGH anders und gab der Revision der Klägerin teilweise statt. Der BGH wies neben anderem daraufhin, dass dem Durchschnittsverbraucher Facharzt- und Fachzahnarztbezeichnungen geläufig seien, dieser sich allerdings erstens, keine Gedanken zu Dauer und Inhalt einer solchen Weiterbildung mache und zweitens, nicht wisse, dass das für Ärzte grundsätzlich bestehende Verbot, außerhalb ihres Fachgebiets tätig zu werden, für Zahnärzte gerade nicht gilt. Vielmehr gehe ein erheblicher Teil der Verbraucherinnen und Verbraucher mangels Kenntnis der Besonderheiten des zahnärztlichen Berufsrechts davon aus, nur ein „Fachzahnarzt für Kieferorthopädie“ dürfe kieferorthopädische Leistungen erbringen.
Neu: Mit der Angabe „Kieferorthopäde“ oder „(Zahnarzt-)Praxis für Kieferorthopädie“ kann auch ohne Fachzahnarzt geworben werden, wenn durch hinreichende Kennzeichnung eine Irreführung ausgeschlossen wird
Dennoch liege – so der BGH – keine Irreführung und damit kein Verstoß gegen Wettbewerbsrecht vor, wenn einer Irreführungsgefahr durch zumutbare Aufklärung entgegengewirkt werde. Ein generelles Verbot solcher Werbung durch „einfach“ approbierte Zahnärzte würde einen unverhältnismäßigen und damit nicht zu rechtfertigenden Eingriff in die grundrechtlich gewährleistete Berufsausübungsfreiheit darstellen. Auch könne der Beklagte nicht darauf verwiesen werden, den Begriff Kieferorthopädie nur unter Voranstellung des Wortes „Tätigkeitsschwerpunkt“ zu verwenden. Allerdings sei ein Zahnarzt, der in seiner Werbung den Begriff „Kieferorthopädie“ verwendet, ohne Fachzahnarzt für Kieferorthopädie zu sein, dazu gehalten, der aufgrund der Verwendung des Begriffs zu erwartenden Fehlvorstellung der angesprochenen Verkehrskreise, durch zumutbare Aufklärung entgegenzuwirken.
Achtung! bei mehreren tätigen Zahnärzten
Vorsicht ist insbesondere auch dann mit der Angabe „Kieferorthopädie“ geboten, wenn in einer Praxis oder einem ZMVZ mehrere Zahnärzte tätig sind. Hier urteilte das Landgericht Düsseldorf (LG) am 28.03.2019 (Az. 37 O 82/18), dass der angesprochene Verkehrskreis dann auch erwarte, dass der überwiegende Teil der tätigen Zahnärzte über eine entsprechende Weiterbildung zur Kieferorthopädie verfüge, sowie dass eine Praxis die derart beworben wird, von einem entsprechend qualifizierten Zahnarzt betrieben bzw. ein ZMVZ von einem entsprechend qualifizierten Zahnarzt geleitet wird.
Exkurs: Werbung mit Bezeichnung „Kinderzahnarzt“ oder „Fachzahnarzt für Kinderzahnheilkunde“ unzulässig
Etwas anders gelagert war die zweite Konstellation, über die das LG ebenfalls mit Urteil vom 28.03.2019 zu entscheiden hatte (Az. 37 O 82/18). Die Beklagte warb neben der Bezeichnung „Kieferorthopädie“ mit den Bezeichnungen „Kinderzahnarzt“ bzw. „Fachzahnarzt für Kinderzahnheilkunde“. Da eine Weiterbildung mit entsprechender Fachzahnarztbezeichnung gar nicht existiert, stellte das LG hier klar einen Verstoß gegen Wettbewerbsrecht fest. Zwar kann der Zahnarzt den Verkehr gemäß § 13 Abs. 5 BO werblich auf einen Tätigkeitsschwerpunkt aufmerksam machen, diesbezüglich muss er dann allerdings auch als Tätigkeitsschwerpunkt ausdrücklich bezeichnet werden. Das Recht zur Bezeichnung als „Kinderzahnärztin“ wurde der Beklagten Zahnärztin jedoch mangels entsprechender Facharztbezeichnung nicht eingeräumt. Denn diese Bezeichnung ist aus Sicht des LG Düsseldorf geeignet, einen nicht unerheblichen Teil des angesprochenen Publikums darüber zu täuschen und den Eindruck zu erwecken, die beworbene Person habe die zur Führung dieser in Wirklichkeit nicht vorgesehenen Facharztbezeichnung berechtigende besondere Qualifikation in dem von der Berufs- und Weiterbildungsordnung vorgeschriebenen Verfahren nachgewiesen.
Das OVG Münster kam in seinem Urteil vom 25.05.2012 – 13 A 1384/10 hingegen zu dem Ergebnis, dass der betroffene Personenkreis mit der Bezeichnung „Kinderzahnarzt“ einen Zahnarzt, der im Bereich der Kinderzahnheilkunde nachhaltig tätig ist, verbindet. Daraus folge aber nicht zugleich, dass die potentiellen Patienten vom Vorliegen einer qualifizierten speziellen Weiterbildung im Sinne einer mindestens dreijährigen Fachzahnarztausbildung (vgl. § 2 Abs. 2 WO) ausgehen. Dies gelte umso mehr, als vorliegend die Bezeichnung „Kinderzahnarzt“ und nicht etwa „Zahnarzt für Kinderzahnheilkunde“ in Rede steht. Lediglich letztere Wortkombination könnte eine Nähe und Vergleichbarkeit zum „Fachzahnarzt für …“ suggerieren und damit beim verständigen Patienten den Eindruck erwecken, als sei die Bezeichnung Ausdruck einer besonderen durch förmliche Weiterbildung erworbenen Qualifikation und als habe sich der Betreffende einer entsprechenden Weiterbildung unterzogen. Wenn die Praxis so ausgestattet ist, dass sie den besonderen Bedürfnissen von Kindern gerecht wird, bspw. durch die Bereitstellung von Spielzeug und tieferen Waschbecken und der Zahnarzt sich besonders viel Zeit bei der Behandlung der Kinder nimmt, um auf die kindliche Psyche und mögliche Ängste bei der zahnärztlichen Untersuchung eingehen zu können, dann kann er sich als Zahnarzt mit dem Tätigkeitsschwerpunkt Kinderzahnmedizin bezeichnen – kurz: Kinderzahnarzt.
Praxistipp
Welche Maßnahmen genügen, um eine Irreführung und damit einen Verstoß gegen Wettbewerbsrecht zu vermeiden, hängt von den jeweiligen Umständen des Einzelfalls ab. Sofern es um Angaben im Internet geht, komme – so der BGH – insbesondere ein deutlicher Hinweis auf die Art der erworbenen Zusatzqualifikation und den Umfang der praktischen Erfahrung in Betracht. Die Bezeichnung mit der Abkürzung „M.Sc.“ hingegen reiche für einen aufklärenden Hinweis nicht aus.
RAin Franca Heuser