In einem aktuellen Verfahren hat sich der Bundesgerichtshof (BGH) mit der Zulässigkeit von Werbung für einen digitalen Arztbesuch per App beschäftigt und entschieden, dass eine Werbung für eine solche Behandlung gemäß § 9 Satz 2 Heilmittelwerbegesetz (HWG) unzulässig ist, wenn für die Behandlung nach den allgemein anerkannten fachlichen Standards ein persönlicher Kontakt zwischen Arzt und Patient erforderlich ist (Urt. v. 9.12.2021, I ZR 146/20).
Geklagt hatte ursprünglich ein eingetragener Verein zur Bekämpfung von unlauterem Wettbewerb gegen einen privaten Krankenversicherer vor dem Landgericht München I (LG). Die Beklagte hatte ihren Kunden seit Oktober 2017 die Möglichkeit eingeräumt, einen in der Schweiz ansässigen Arzt per Video zu konsultieren mittels einer App. Den in Deutschland ansässigen Ärzten war zu diesem Zeitpunkt eine solche Fernbehandlung gemäß § 9 HWG untersagt. Für die angebotenen Fernbehandlungen hatte die Beklagte ebenfalls auf ihrer Webseite und auf diversen Plakaten geworben. Die Klägerin sah im Verhalten der Beklagten einen Verstoß gegen § 3a UWG, eine dem Gesundheitsschutz dienende Marktverhaltensregel und nahm die Beklagte hierfür auf Unterlassung gemäß § 8 Abs. 1 UWG in Anspruch genommen.
Bisheriger Verfahrensverlauf
Das LG München hatte der Klage des Vereins stattgegeben und das Oberlandesgericht München (OLG) hatte die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Zur Begründung hatte das OLG ausgeführt, dass eine Fernbehandlung in Deutschland nun zwar auch zulässig und die Werbung hierfür erlaubt sei, wenn gemäß § 9 Satz 2 HWG „nach allgemein anerkannten fachlichen Standards ein persönlicher ärztlicher Kontakt mit dem zu behandelnden Menschen nicht erforderlich ist“. Allerdings sei ein generelles und nicht begrenztes Angebot eines digitalen Arztbesuches, ohne näher konkretisierte Behandlungssituationen, so wie die Beklagte es beworben hatte, nicht mehr vom Ausnahmentatbestand des § 9 Satz 2 HWG erfasst.
Das OLG hatte die Revision beim BGH nicht zugelassen, der BGH hatte der Nichtzulassungsbeschwerde der Beklagten jedoch stattgegeben. In der mündlichen Verhandlung hatte der Erste Senat signalisiert, dass es durchaus Raum für technische Möglichkeiten gäbe.
Wie hat der BGH entschieden?
Der BGH betonte nun, dass auch Apps grundsätzlich Kommunikationsmedien im Sinne des § 9 Satz 2 HWG sein können. Allerdings seien nur solche Behandlungen vom Geltungsbereich des § 9 Satz 2 HWG umfasst, die nach den allgemein anerkannten fachlichen Standards, ohne einen persönlichen Kontakt zwischen Arzt und Patient erfolgen können. Der Begriff des fachlichen Standards sei, wie der BGH weiter ausführte, nicht etwa an den für die schweizerischen Ärzte geltenden berufsrechtlichen Normen zu messen, sondern vielmehr an dem entsprechenden Begriff aus § 630a Abs. 2 BGB und den dazu zuvor durch die Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen. Der BGH wies außerdem darauf hin, dass die Entwicklung solcher Standards erst mit der Zeit und unter Einbeziehung der Leitlinien medizinischer Fachgesellschaften oder etwa der Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses erfolge.
Die Werbung der Beklagten war jedoch nicht nur explizit für die Diagnose und Behandlung von Krankheiten, die keinen persönlichen Kontakt zwischen Arzt und Patienten erfordern, erfolgt, sondern unterbreitete dem Patienten das Angebot einer umfassenden Primärversorgung. Mangels entgegenstehender Feststellungen des Berufungsgerichtes und mangels weiteren Vortrags der Beklagten, dass eine solche umfassende Behandlung mittels App durchaus den allgemein anerkannten fachlichen Standards entspreche, hat der BGH entscheiden, dass die Werbung der Beklagten unzulässig ist.
Bedeutung für die Praxis
Die Entscheidung des BGH sowie die zuvor ergangenen Entscheidungen der Vorinstanzen stehen in deutlichem Gegensatz zu den Liberalisierungstendenzen, die im ärztlichen Berufsrecht und auch im HWG in den letzten Jahren beobachtet werden konnten. Bereits im Mai 2018 hatte der 121. Deutsche Ärztetag das in § 7 Abs. 4 der Musterberufsordnung für Ärzte (MBO-Ä) festgesetzte Fernbehandlungsverbot gelockert. Hierdurch waren erstmals Fernbehandlungen, bei denen kein persönlicher Arzt-Patienten-Kontakt erforderlich ist, auch ohne vorherigen persönlichen Erstkontakt mit dem Patienten möglich. Der Gesetzgeber reagierte auf diese Entwicklung, indem er im Dezember 2019 die bisherige Regelung in § 9 HWG um Satz 2 ergänzte.
Das Urteil hat nun diese durchaus positiv zu bewertenden Tendenzen der letzten Jahre ein wenig ausgebremst. Durch die Änderung des § 9 Satz 2 HWG hat der Gesetzgeber deutlich gemacht, dass eine Digitalisierung im Gesundheitswesen durchaus wünschenswert ist. Die Lesart des BGH steckt einer solchen Digitalisierung nun sehr enge Grenzen. Um die Digitalisierung des Gesundheitswesens weiter voranzutreiben, besteht erneuter Handlungsbedarf seitens des Gesetzgebers.
RA Prof. Dr. Bernd Halbe
Fachanwalt für Medizinrecht
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