Nach den Regelungen im Bundesurlaubsgesetz (BUrlG) hat jeder Arbeitnehmer bei einer 5-Tage-Woche Anspruch auf mindestens 20 Arbeitstage Urlaub im Kalenderjahr. Gem. § 7 Abs. 3 BUrlG muss der Urlaub „im laufenden Kalenderjahr gewährt und genommen werden.“ Die Übertragung eines Urlaubsanspruchs, der im laufenden Kalenderjahr nicht geltend gemacht wurde, auf das folgende Kalenderjahr ist nach dem Gesetz nur unter bestimmten Voraussetzungen möglich. Diesen Regelungen haben die deutschen Arbeitsgerichte über einen langen Zeitraum die Erkenntnis entnommen, dass ein Arbeitnehmer mit Ablauf des 31. Dezember eines jeden Kalenderjahres etwa noch nicht realisierte Urlaubsansprüche regelmäßig verlor.
Am 13.12.2016 hatte sich das Bundesarbeitsgericht, in einem Rechtsstreit zwischen der Max-Planck-Gesellschaft und einem ehemaligen Arbeitnehmer den Europäischen Gerichtshof mit der Frage zu befassen, ob die deutschen urlaubsrechtlichen Regelungen insofern mit den europäischen Vorschriften übereinstimmen, als der Arbeitgeber nicht verpflichtet ist, von sich aus einseitig und für den Arbeitnehmer verbindlich die zeitliche Lage des Urlaubs innerhalb des laufenden Kalenderjahres festzulegen (EuGH-Vorlage vom 13.12.2016, Az. 9 AZR 541/15 (A). Der Europäische Gerichtshof beantwortete diese Frage dahingehend, dass nach europäischem Recht der Arbeitgeber jedenfalls verpflichtet sei, den Arbeitnehmer „durch angemessene Aufklärung“ in die Lage zu versetzen, seinen Urlaubsanspruch wahrzunehmen. Der Arbeitgeber brauche zwar seine Arbeitnehmer nicht zu zwingen, ihren Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub zu realisieren. Er müsse aber „konkret und in völliger Transparenz“ die Belange des Arbeitnehmers wahren, indem er insbesondere diesen auffordere, seinen Urlaub rechtzeitig zu beantragen und in Anspruch zu nehmen. Die Beweislast trage insoweit der Arbeitgeber.
In mehreren Verfahren, in denen es um Urlaubsansprüche ging, hat sich das Bundesarbeitsgericht am 19.02.2019 (Az. 9 AZR 541/15, 9 AZR 278/16, 9 AZR 423/16) zu den Anforderungen geäußert, die nunmehr seiner Auffassung nach die Arbeitgeber treffen:
Das Bundesarbeitsgericht führt in den Urteilen zunächst aus, dass es dem Arbeitgeber grundsätzlich freistehe, in welcher Weise und auf welchem Weg er seine Mitwirkungsobliegenheiten erfülle. Es müsse jedoch gewährleistet sein, dass die Arbeitnehmer in Kenntnis der gesamten Umstände darüber entscheiden, ob und wann sie ihre Urlaubsansprüche realisieren wollten. Jedenfalls dürfe der Arbeitgeber seine Mitarbeiter nicht in irgendeiner Weise daran hindern, den Urlaub in Anspruch zu nehmen. Er dürfe auch keine Anreize schaffen, die dazu beitragen könnten, dass Arbeitnehmer auf ihre Urlaubsansprüche verzichten. Jegliche Einflussnahme in diese Richtung sei dem Arbeitgeber nicht gestattet. Im Übrigen habe der Arbeitgeber im Streitfall zu beweisen, dass er seinen Verpflichtungen ordnungsgemäß nachgekommen sei.
Abstrakte Angaben, beispielsweise im Arbeitsvertrag, in einem Merkblatt oder in einer Betriebsvereinbarung oder einem Tarifvertrag seien keine ausreichend konkrete und transparente Unterrichtung. Das Bundesarbeitsgericht zeigt aber auch einen Weg auf, wie der Arbeitgeber seine Mitwirkungsobliegenheiten ordnungsgemäß erfüllen könne. Er könne nämlich beispielsweise jedem Arbeitnehmer zu Beginn des Kalenderjahres in Textform mitteilen, wie viele Arbeitstage Urlaub ihm im Kalenderjahr zustehen, und ihn auffordern, seinen Jahresurlaub so rechtzeitig zu beantragen, dass er ihn innerhalb des laufenden Urlaubsjahres nehmen könne. Außerdem müsse er die Mitarbeiter darüber belehren, dass Urlaubsansprüche verlustig gehen könnten, wenn sie ihren Urlaub nicht im Kalenderjahr realisierten, obwohl sie hierzu in der Lage gewesen wären. Mit seinen Erklärungen dürfe sich der Arbeitgeber nicht dadurch in Widerspruch setzen, dass er Urlaubsanträge zurückweise, ohne dass es hierfür dringende betriebliche Gründe gebe oder die Urlaubswünsche anderer Arbeitnehmer dagegen stünden, § 7 Abs. 1 Satz 1 BUrlG. Sollten besondere Umstände eintreten, wäre der Arbeitgeber gegebenenfalls verpflichtet, seine Mitwirkungshandlungen erneut vorzunehmen.
Angesichts dieser Rechtsprechung ist also jedem Arbeitgeber dringend anzuraten, zu Beginn eines Kalenderjahres jeden einzelnen Mitarbeiter durch eine individualisierte Mitteilung über den Umfang seines Urlaubsanspruchs aufzuklären und ihn dazu aufzufordern, seinen Urlaub rechtzeitig zu realisieren. Gleichzeitig muss den Mitarbeitern mitgeteilt werden, dass sie ihrer Ansprüche verlustig gehen, sofern sie die Urlaubstage nicht in Anspruch nehmen, obwohl sie hierzu in der Lage wären. Diese Information muss in Textform ergehen, d. h. es muss
- eine lesbare Erklärung,
- in der die Person des Erklärenden genannt ist
- auf einem dauerhaften Datenträger
abgegeben werden, § 126b BGB. Diesen Anforderungen genügen insbesondere E-Mails, sofern der Empfänger sie speichern und ausdrucken kann. Es ist dem Arbeitgeber allerdings auch unbenommen, die Arbeitnehmer durch Schriftstücke in Papierform zu informieren.
RA Sven Rothfuß
Fachanwalt für Medizinrecht