Vor dem Bundesarbeitsgericht (BAG) unterlag am 13.10.2021 eine „Mini-Jobberin“, die Ihre Arbeitgeberin auf Fortzahlung der monatlichen Vergütung, trotz Betriebsschließung wegen hoheitlicher Verfügung zur Bekämpfung der Corona-Pandemie, unter dem Gesichtspunkt des Annahmeverzugs in Anspruch nahm (Az.: 5 AZR 211/21).
Das BAG urteilte, dass Arbeitgeber[1], die ihren Betrieb aufgrund eines staatlich verfügten allgemeinen „Lockdowns“ zur Bekämpfung der Corona-Pandemie vorübergehend schließen müssen, nicht das Risiko des Arbeitsausfalls tragen müssten und damit auch nicht verpflichtet seien, den Beschäftigten unter dem Gesichtspunkt des Annahmeverzugs weiter Vergütung zu zahlen.
Die Klägerin ist seit Oktober 2019 als geringfügig Beschäftigte in dem Einzelhandelsgeschäft der Beklagten in Bremen im Verkauf tätig. Im April 2020 war das Ladengeschäft aufgrund einer Allgemeinverfügung zur Eindämmung des Coronavirus‘ der Freien Hansestadt Bremen vom 23.03.2020 geschlossen. In der Folge konnte die Klägerin nicht arbeiten und erhielt auch keine Vergütung. Als geringfügig Beschäftigte ohne Sozialversicherungspflicht erfüllte sie zudem nicht die persönlichen Voraussetzungen für die Gewährung von Kurzarbeit, §§ 95 Nr. 3, 98 Abs. 1 SGB III i.V.m. § 8 Abs. 1 SGB IV.
Die Klägerin verklagte die Beklagte sodann unter dem Gesichtspunkt des Annahmeverzugs vor dem zuständigen Arbeitsgericht auf Entgeltfortzahlung für den Monat April 2020. Die Schließung des Ladengeschäfts aufgrund des staatlich verfügten allgemeinen „Lockdowns“ zur Bekämpfung der Corona-Pandemie falle in das von der Beklagten als Arbeitgeberin zu tragende Betriebsrisiko.
Zwar hatte die Klage in den Vorinstanzen Erfolg – sowohl das erstinstanzlich erkennende Arbeitsgericht (AG Verden, Urt. v. 29.09.2020, Az.: 1 Ca 391/20), als auch das Berufungsgericht (LAG Niedersachsen, Urt. v. 23.03.2021, Az.: 11 Sa 1062/20) verurteilten die Beklagte zur Leistung der monatlichen Vergütung –, das BAG bewertete die Sachlage jedoch anders und gab der Revision der Beklagten statt. Die Klägerin habe keinen Anspruch auf Entgeltzahlung unter dem Gesichtspunkt des Annahmeverzugs, da sich nicht ein in einem bestimmten Betrieb angelegtes, von Arbeitgebern zu tragendes Betriebsrisiko realisiert habe. Die Unmöglichkeit der Arbeitsleistung sei Folge eines hoheitlichen Eingriffs zur Bekämpfung einer die Gesellschaft insgesamt treffenden Gefahrenlage. Arbeitgeber würden jedoch nicht das Risiko eines Arbeitsausfalls tragen, wenn zum Schutz der Bevölkerung vor schweren und tödlichen Krankheitsverläufen durch behördliche Anordnungen nahezu flächendeckend alle nicht für die Versorgung der Bevölkerung notwendigen Einrichtungen geschlossen würden. Vielmehr sei es Aufgabe des Staates, für einen adäquaten Ausgleich der den Beschäftigten durch den hoheitlichen Eingriff entstehenden finanziellen Nachteile zu sorgen. Soweit ein solcher – so weiter das BAG – wie bei der Klägerin als geringfügig Beschäftigte nicht gewährleistet sei, beruhe dies auf Lücken im sozialversicherungsrechtlichen Regelungssystem. Hieraus lasse sich jedoch keine arbeitsrechtliche Zahlungspflicht seitens des Arbeitgebers herleiten.
Das BAG weicht mit seinem jüngsten Urteil von der bisher ständigen Rechtsprechung ab, dass das Ausfallrisiko grundsätzlich der Arbeitgeber zu tragen habe und ordnet damit die arbeitsrechtlichen Grundsätze zur Risikoverteilung im vorliegenden Fall neu an. Die Entscheidung betrifft viele wirtschaftliche Bereiche, ist so jedoch nicht uneingeschränkt auf das Gesundheitswesen übertragbar, da dort bisher keine Schließungen durch Allgemeinverfügung ergangen sind, sondern Schließungen in der Regel aus betriebsbezogenen Gründen erfolgen; z.B. wegen eines Corona-Falles im Betrieb. In diesem Fall bleibt es bei den bekannten Grundsätzen, dass der Arbeitgeber grundsätzlich das Ausfallrisiko zu tragen hat. Es besteht dann im Beispielfall (Corona-Infektion im Betrieb) ein Anspruch auf Entschädigung gegenüber dem Land gemäß § 56 Infektionsschutzgesetz.
Unklar bleibt, ob die vom BAG im angesprochenen Fall aufgestellten Grundsätze auch für sozialversicherungspflichtige Beschäftigte gelten. Da Arbeitgeber im Falle sozialversicherungspflichtiger Beschäftigter Kurzarbeit beantragen und damit Lohn- und Gehaltsausfälle verhindern konnten, spricht Vieles dafür, dass die Arbeitgeber bei etwaiger (Antrags-)Versäumnis zur Fortzahlung der Vergütung verpflichtet sind.
[1] Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird auf die gleichzeitige Verwendung der Sprachformen männlich, weiblich und divers verzichtet. Sämtliche Personenbezeichnungen gelten gleichermaßen für alle Geschlechter.
RA Helge Rust
Fachanwalt für Medizinrecht
Fachanwalt für Arbeitsrecht