Quelle: Pressemitteilung des LSG Baden-Württemberg vom 23.07.2019
Die Gleichsetzung des Begriffs der Gewöhnung mit der Abhängigkeit vom Respirator aufgrund der medizinischen Notwendigkeit der maschinellen Beatmung widerspricht der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts
Kurzbeschreibung:
Das Landessozialgericht stellt klar, dass der Weg versperrt ist, aus der medizinischen Notwendigkeit der maschinellen Beatmung auf eine Gewöhnung zu schließen.
Urteil vom 23. Juli 2019, Aktenzeichen L 11 KR 717/18 ZVW
Der Versicherte, bei dem ein generalisierter epileptischer Anfall mit Verdacht auf eine Aspirationspneumonie und Tachypnoe diagnostiziert worden war, wurde bei Fieber bis 41º C in einem komatösen Zustand von einem anderen Krankenhaus auf die Stroke Unit der Neurologischen Klinik der Klägerin verlegt. Bei beginnender Sepsis wurde eine Antibiose begonnen. Nachdem nach einer aufgetretenen Magenblutung ein hämodynamisch stabiler Zustand eingetreten war, erfolgte wegen einer Ateminsuffizienz eine Behandlung auf der anästhesiologischen Intensivstation. Der Versicherte wurde mittels eines Gerätes nichtinvasiv beatmet, im Wechsel mit Spontanatmung unter einer Sauerstoffinsufflation. Die selbstständige, kontinuierlich ablaufende Atmung wurde durch eine Maskenbeatmung (CPAP) unterstützt.
Die Klägerin verlangte Vergütung für die stationäre Krankenhausbehandlung unter Einschluss von Zeiten der Entwöhnung vom Respirator (Beatmungsgerät), welche sie auf mehr als 6.000 € beliefen, was die beklagte Krankenkasse ablehnte. Das Sozialgericht verurteilte die Beklagte zur Zahlung des vollständigen Rechnungsbetrages, das Landessozialgericht (LSG) wies die Berufung zurück.
Auf die vom Bundessozialgericht (BSG) zugelassene Revision der Beklagten hat es mit der Entscheidung vom 19. Dezember 2017 (B 1 KR 18/17 R) das Urteil des LSG aufgehoben sowie die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zu-rückverwiesen. Spontanatmungsstunden seien nur dann als Beatmungsstunden mitzuzählen, wenn der Wechsel von Beatmung und Spontanatmung in einer Phase der Entwöhnung erfolge. Schon begrifflich setze eine Entwöhnung eine zuvor erfolgte Gewöhnung an die maschinelle Beatmung voraus. Nach den getroffenen tatsächlichen Feststellungen des LSG stehe nicht fest, dass die Klägerin den Versi-cherten von der maschinellen nichtinvasiven Beatmung wegen vorausgegangener Gewöhnung an die maschinelle Beatmung eigens entwöhnt habe mit der Folge, dass dies die Klägerin bei der Rechnungsstellung zur Kodierung von mehr als 95 Beatmungsstunden berechtigte.
Im wiedereröffneten Berufungsverfahren legte der bestellte Sachverständige dar, in der Beatmungsmedizin existiere der Begriff der Gewöhnung und damit eine Defini-tion ebenso wenig wie eine Methode, diesen Zustand zu ermitteln. Aus der Begriffserklärung für die Entwöhnung sei daher abzuleiten, dass unter ihr vom Respirator die Übertragung der Atemarbeit und -regulation auf den Patienten zu verste-hen sei. Im Umkehrschluss beschreibe die vorherige Gewöhnung einen Zustand, in dem Atemarbeit oder -regulation durch das Beatmungsgerät teilweise oder vollstän-dig habe übernommen werden müssen und damit eine Abhängigkeit vorgelegen habe. Diese sei gegeben, wenn der Gasaustausch oder die Ventilation aus eigener Kraft nicht ausreichend seien und die daraus resultierende hypoxämische oder hyperkapnische Ateminsuffizienz nur durch eine maschinelle Beatmung behandelt werden könne.
Das LSG hob die erstinstanzliche Entscheidung auf und wies die Klage ab. Nach den bindenden Vorgaben des BSG ist der Begriff der Entwöhnung nach den Deut-schen Kodierrichtlinien (DKR) 1001h enger zu verstehen als der in der medizinischen Fachsprache vorkommende Begriff des „Weaning“ (Entwöhnung vom Respi-rator). Der Sachverständige begründete die angenommene Gewöhnung an die ma-schinelle Beatmung mit der durch ihren Beginn belegten Abhängigkeit. Die Gleich-setzung des Begriffs der Gewöhnung mit ihr vom Respirator aufgrund medizinischer Notwendigkeit der maschinellen Beatmung widerspricht jedoch den Vorgaben des BSG. Dieses wies ausdrücklich darauf hin, dass eine Notwendigkeit der Beat-mung aus anderen Gründen, etwa wegen einer noch nicht beherrschten Sepsis, nicht ausreicht. Dem LSG war daher der Weg versperrt, aus der medizinischen Not-wendigkeit der maschinellen Beatmung auf eine Gewöhnung zu schließen. Andere Anhaltspunkte hierfür ließen sich dem Gutachten des Sachverständigen nicht entnehmen.
Rechtsgrundlagen
§ 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Krankenhausentgeltgesetz (KHEntgG)
Die allgemeinen Krankenhausleistungen werden gegenüber den Patienten oder ihren Kostenträgern mit folgenden Entgelten abgerechnet: Fallpauschalen nach dem auf Bundesebene vereinbarten Entgeltkatalog.
§ 9 Abs. 1 Nr. 1 KHEntG
Der Spitzenverband Bund der Krankenkassen und der Verband der Privaten Krankenversicherung gemeinsam vereinbaren mit der Deutschen Krankenhausgesellschaft (Vertragsparteien auf Bundesebene) mit Wirkung für die Vertragsparteien nach § 11 insbesondere einen Fallpauschalen-Katalog nach § 17b Abs. 1 Satz 4 des Krankenhausfinanzierungsgesetzes einschließlich der Bewertungsrelationen sowie Regelungen zu Verlegungsfällen und zur Grenzverweildauer und der in Abhängigkeit von diesen zusätzlich zu zahlenden Entgelte oder vorzunehmenden Abschläge (effektive Bewertungsrelationen).
Alexander Angermaier
Richter am Landessozialgericht
– Pressesprecher –