Mit Spannung liest sich der Beschluss des Sächsischen Landessozialgerichts (LSG) zum Thema der Auswahlentscheidung im Nachbesetzungsverfahren vom 11.01.2021 (1 KA 4/20 B ER).
Nachdem es einer MVZ GmbH („A“) nicht gelang, eine Stelle mit einem im MVZ anzustellenden Arzt nachzubesetzen, erteilte der Zulassungsausschuss (ZA) die Genehmigung zur Umwandlung der Anstellung in eine Zulassung mit dem Ziel der Ausschreibung zur Nachbesetzung.
Zwei MVZ GmbHs („B“ und „C“) bewarben sich auf die Arztstelle. Mit B hatte A bereits einen Kaufvertrag abgeschlossen. Der ZA gab allerdings dem Antrag der C auf Übernahme und Fortführung der vertragsärztlichen Angestelltenstelle statt und lehnte den Antrag der B ab.
A und B wendeten sich sodann gegen die Anordnung des Sofortvollzugs der zu Gunsten der C getroffenen Auswahlentscheidung des ZA zur Nachbesetzung eines Vertragsarztsitzes. Die Hauptsache wird gerichtlich bis heute weiterverfolgt. Das LSG hielt im Ergebnis an dem am 25.03.2020 vorangegangenen Beschluss zur sofortigen Vollziehung des Sozialgerichts Dresden (S 25 KA 26/20 ER) fest und wies die Beschwerden der A und B zurück. Ermessensfehler bei der Auswahl seien nicht ersichtlich und dem Zulassungsausschuss nicht anzulasten.
C war bereits vor dem 01.01.2012 Trägerin eines zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassenen MVZ. Zu ihren Gunsten greift die Bestandsschutzregelung in § 95 Abs. 1a Satz 4 SGB V. Hieraus wollten A und B herleiten, dass C sich nicht im Rahmen einer weiteren Arztstelle weiterentwickeln dürfte. Die dort angeordnete unveränderte Fortgeltung der Zulassung bedeute nach der Begründung des LSG jedoch nicht, wie von A und B statuiert, dass ein bestandsgeschütztes MVZ endgültig auf den Zustand vom 31.12.2011 eingefroren und ihm jede Weiterentwicklung abgeschnitten wäre. Vielmehr gewähre § 95 Abs. 1a Satz 4 SGB V denen MVZ, die am 01.01.2012 bereits zugelassen waren, einen umfassenden Bestandsschutz. Die bestandsgeschützten MVZ können aufgrund ihrer Zulassung alle Handlungsmöglichkeiten eines MVZ wahrnehmen; sie können insbesondere freiwerdende Arztstellen nachbesetzen, weitere Vertragsarztsitze hinzunehmen, sich auf nach § 103 Abs. 4 SGB V ausgeschriebene Vertragsarztsitze bewerben und Änderungen in ihrer Organisationsstruktur vornehmen; eine Beschränkung erfolge jedoch gerade nicht.
Zudem monierte B, dass sie übergangen wurde, obwohl sie privilegiert in dem Nachbesetzungsverfahren gewesen sei, da es sich bei der Arztstelle in Zusammenarbeit mit einer Klinik um die Ergänzung ihres besonderen Versorgungsangebots handeln würde. Dem widersprach das LSG, denn bei dem „besonderen Versorgungsangebot“ handele es sich um das Versorgungsangebot des MVZ als an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmendem Leistungserbringer. Eine sektorenübergreifende Sichtweise sei dieser Vorschrift völlig fremd und auch nicht geboten. Eine solche Sichtweise liefe auf eine Privilegierung von MVZ hinaus, die von Krankenhäusern betrieben werden, was vom Gesetzgeber aber nicht bezweckt war und auch im Gesetz keinen Ausdruck gefunden hat.
Zuletzt erkannte das LSG das überwiegende Interesse der C zum Sofortvollzug an. Letztlich sei es sogar im Interesse aller, wenn die Arztstelle besetzt würde, bis das Hauptverfahren abgeschlossen worden ist. Nur so würde die Arztstelle ihren Wert behalten und sich nicht nach jahrelanger Verhandlung im Zweifel der Patientenstamm verflüchtigt haben.
Neu zu betrachtende Aspekte wurden durch diesen Fall für kommende Nachbesetzungsverfahren geschaffen und zeigen die Notwendigkeit einer umfassenden juristischen Beratung und Begleitung eines Nachbesetzungsverfahrens auf.
RA Prof. Dr. Bernd Halbe
Fachanwalt für Medizinrecht
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