Das Bundessozialgericht (BSG) entschied am 19.10.2021 in drei Fällen aus den Jahren 2014 und 2016 darüber, dass Ärzte[1], die im Nebenjob als Notärzte im Rettungsdienst tätig sind, regelmäßig sozialversicherungspflichtig beschäftigt sind.
Die Kläger, das Deutsche Rote Kreuz (DRK) und der Landkreis Fulda, sind Träger des Rettungsdienstes und beschäftigen jeweils Ärzte, die in Nebentätigkeit als Notärzte im Rettungsdienst tätig sind. Dabei gingen die Kläger davon aus, dass eine selbstständige beziehungsweise freiberufliche und somit sozialpflichtversicherungsfreie Tätigkeit vorliegt.
Hingegen stellte die Beklagte, die Deutsche Rentenversicherung Bund (DRV), in allen streitigen Fällen fest, dass eine versicherungspflichtige Beschäftigung gegeben ist, da die Ärzte in den öffentlich-rechtlichen Notarztdienst eingegliedert wurden.
Die beteiligten Ärzte arbeiteten während des Dienstes mit dem Personal der Kläger und nutzten auch die von den Klägern bereitgestellten Mittel, insbesondere Notarztfahrzeuge. In den getroffenen Vereinbarungen zwischen den Klägern und den Ärzten wurde schriftlich vereinbart, dass der Arzt “freiberuflich tätig“, “nicht in die Arbeitsorganisation des Auftraggebers eingebunden“ und “in seiner Verantwortung in Diagnostik und Therapie unabhängig“ ist. Des Weiteren sind die Einsätze nach einheitlichen Vorgaben zu dokumentieren. Größtenteils konnten die Ärzte selbst bestimmen, zu welchen Zeiten sie den Dienst antraten.
Es ist jedoch zu beachten, dass die bloße Bezeichnung in den Vereinbarungen als “freiberuflich“ oder “selbstständig“ nicht eine Sozialversicherungspflicht ausschließt. Es kommt auf eine Gesamtbetrachtung aller Umstände im Einzelfall an.
In der ersten Instanz entschieden die Sozialgerichte unterschiedlich. Das Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg hat in zwei Fällen eine Eingliederung in die Struktur der Betriebe angenommen und somit eine Sozialversicherungspflicht bejaht. Das Nutzen der zur Verfügung gestellten Mittel und das Zusammenwirken mit dem Rettungsdienstpersonal mache die fremdbestimmte arbeitsteilige Eingliederung deutlich. Auch herrschten strikte Vorgaben, die auf ein Weisungsverhältnis hindeuteten.
Das Hessische LSG bestätigte zwar eine Eingliederung der Ärzte, da bei der Ausübung des Notdienstes bestimmte öffentlich-rechtliche Vorgaben zu beachten sind. Allerdings dienen diese Vorgaben der Natur der Gefahrenabwehr des Rettungsdienstes. Diese sollen noch keine arbeitsvertragliche Weisungsbefugnis begründen.
Das BSG schloss sich dem LSG Baden-Württemberg an und bejahte eine Eingliederung, da die Ärzte Verpflichtungen unterlagen. Sie mussten sich stets in der Nähe des Notarztfahrzeuges aufhalten und innerhalb einer bestimmten Zeit nach Alarmierung ausrücken.
Dabei ist unerheblich, dass dies durch öffentlich-rechtliche Vorschriften vorgegeben war. Auch ist unerheblich, dass in einem Fall nicht der Landkreis als Arbeitgeber die Mittel gestellt hatte, sondern die Stadt, denn letztendlich haben die Ärzte keine eigenen Mittel genutzt. Die Ärzte hatten somit keine Möglichkeit, ihren eigenen Gewinn durch unternehmerisches Handeln zu steigern.
Da die beurteilten Fälle in den Jahren 2014 und 2016 lagen, musste das BSG im konkreten Verfahren nicht auf § 23c Absatz 1 Satz 1 SGB IV eingehen, der erst seit dem 11.04.2017 gilt. Laut diesem sind Einnahmen aus Tätigkeiten als Notärztin oder Notarzt im Rettungsdienst nicht beitragspflichtig, wenn diese Tätigkeiten neben einer Beschäftigung mit einem Umfang von regelmäßig mindestens 15 Stunden wöchentlich außerhalb des Rettungsdienstes oder neben einer Tätigkeit als zugelassener Vertragsarzt oder als Arzt in privater Niederlassung ausgeübt werden.
Es bleibt abzuwarten, wie das BSG bei aktuelleren Fällen entscheiden wird.
[1] Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird auf die gleichzeitige Verwendung der Sprachformen männlich, weiblich und divers verzichtet. Sämtliche Personenbezeichnungen gelten gleichermaßen für alle Geschlechter.
RA Helge Rust
Fachanwalt für Medizinrecht
Fachanwalt für Arbeitsrecht