Das Oberlandesgericht Nürnberg hatte in einem Urteil vom 30.04.2015 (Az. 5 U 2282/13) erhebliche Anforderungen an die Aufklärung eines Patienten aufgestellt. Unter Bezugnahme auf das Medical Dictionary for Regulatory Activities, dessen Häufigkeitsdefinitionen in Beipackzetteln für Medikamente verwendet werden, verlangte es noch bei einer statistischen Wahrscheinlichkeit für die Verwirklichung eines Risikos im Bereich zwischen 0,1 und 1,0 Promille die Häufigkeitsangabe „selten“, bei einer Wahrscheinlichkeit von 0,8 % sollte das Risiko einer Komplikation als „häufig“ bezeichnet werden. Zur Begründung führte es an, dass den Patienten die Häufigkeitsangaben in den Beipackzetteln vertraut seien und dass die abweichenden Bezeichnungen in ärztlichen Aufklärungsgesprächen eine unzulässige Verharmlosung darstellten (ebenso das Landgericht Bonn, Urteil vom 19.06.2015, Az. 9 O 234/14).
In seinem Urteil vom 29.01.2019 (Az. VI ZR 117/18) ist der Bundesgerichtshof, wie zuvor bereits das Oberlandesgericht Frankfurt, dieser Rechtsauffassung entgegengetreten.
Dem klagenden Patienten war in dem Krankenhaus der Beklagten ein künstliches Kniegelenk eingesetzt worden. In dem Aufklärungsgespräch wurde er unter anderem auf das Risiko einer „gelegentlichen“ Lockerung hingewiesen. Etwa zwei Jahre nach der Operation wurde festgestellt, dass sich die Prothese gelockert hatte. Der Kläger erhielt ein neues Implantat. Er machte daraufhin Schadensersatz- und Schmerzensgeldansprüche geltend und trug hierzu unter Bezugnahme auf die Entscheidungen des Oberlandesgerichts Nürnberg und des Landgerichts Bonn vor, dass er unzutreffend aufgeklärt worden sei.
Der erkennende Senat wies zunächst darauf hin, dass das Aufklärungsgespräch nur dann ordnungsgemäß verlaufe, wenn der Patient ein zutreffendes Bild von Chancen und Risiken der bevorstehenden Behandlung bekomme. Für die Beurteilung des Gesprächsinhalts könne im Regelfall auf den allgemeinen Sprachgebrauch zurückgegriffen werden. Der Begriff „gelegentlich“ werde im Allgemeinen beispielsweise synonym für „ab und an“, „hin und wieder“ oder „mitunter“ verwendet. Damit werde deutlich, dass eine als „gelegentlich“ bezeichnete Häufigkeit größer sei als „selten“, aber kleiner als „häufig“. Eine Häufigkeit von 8,71 % sei jedenfalls als „gelegentlich“ anzusehen.
Das Gericht wies außerdem darauf hin, dass sich aus entsprechenden Studien keinerlei Hinweise darauf ergäben, dass die Definitionen des Medical Dictionary for Regulatory Activities in den allgemeinen Sprachgebrauch übernommen worden seien. Vielmehr folgten ganz im Gegenteil selbst Ärzte im Gespräch mit Patienten nicht diesen Vorgaben, wenn sie über das Auftreten unerwünschter Nebenwirkungen bei der Einnahme von Arzneimitteln informierten. Daher könnten diese nicht als Maßstab für den Inhalt von Aufklärungsgesprächen herangezogen werden.
Mit diesem Urteil korrigiert der Bundesgerichtshof die überzogenen Anforderungen des Oberlandesgerichts Nürnberg und des Landgerichts Bonn, was zu begrüßen ist. Ein Rückgriff auf die Häufigkeitsdefinitionen, die für Arzneimittel gelten, in Aufklärungsgesprächen, würde die meisten Patienten wohl verschrecken. Eine zutreffende Vorstellung über das Risiko, das sie eingehen, könnten sie sich in diesem Fall eher nicht bilden.
RAin Cornelia Weitekamp
Fachanwältin für Medizinrecht
Fachanwältin für Arbeitsrecht